Der Mond bestimmte unseren Törnverlauf / Teil II
     
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Zur Stadtbesichtigung müssen wir eine Fähre benutzen, das Zentrum liegt auf der anderen Seite. Am späten Nachmittag wimmelt es vor einlaufenden Yachten. Da stoppt sogar der Fährbetrieb. Bei uns undenkbar.

Schön anzusehen ist das Wahrzeichen der Stadt, ein etwa 100m hoher Stahlturm, der einen Spinacker darstellt.

Die Stadt ist lebendig, vieles hier sieht typisch englisch aus. Am nächsten Tag, nach einer 5-Sterne-Dusche, ging es zur nahe gelegenen Isle of Wight.
Wenn wir schon mal hier sind, sollten wir auch die Insel besuchen.
Gleich am Eingang des Hafens Yarmouth empfingen uns Schlauchboote mit Lotsen, die alle einlaufenden Yachten in Empfang nehmen und platzieren. Diese duldeten keinen Widerspruch. Alle Schwimmstege haben keinen Landanschluss. Man muss ein Wassertaxi heranwinken, um an Land zu kommen. Als sparsame Menschen blasen wir unser Schlauchboot auf. Geht doch.
Der Ort ist von vielen Kneipen durchzogen, offenbar rasten hier viele Urlauber.

Am Abend folgte eine Beratung über die Wichtigkeit der Kanaldurchfahrt. Wir queren das größte Verkehrsgebiet für Frachter und Militärfahrzeuge. Da ist „Wahrschau“ angesagt.
Die Strecke von 50 sm ist in „Hellem“ zu schaffen, Ziel Alderney.
Mit W 3-4 ging es um 08.00 Uhr los. Das Wetter blieb stabil, den großen Pötten konnten wir ohne Probleme ausweichen. Ich habe 34 gezählt.
In Alderney dann der Schock; Liegeplätze nur an Moorings in einer nach N und E offenen Bucht mit einer 10m hohen Hafenmauer. Offenbar noch während des 2. Weltkrieges gebaut.

Über Funk kann man ein Wassertaxi rufen. Die kleine Insel hat eine seltene Flora und Fauna, ansonsten ist sie in der Zeit stehen geblieben.
Am nächsten Tag ist um 09.30 Uhr die beste Zeit, um mit dem Strom nach Guernsey zu segeln, dem Wendepunkt unseres Törns. Wir erkennen die drei spitzen Felsen aus einem Yachtbericht und nehmen bei W-NW 3-4 Kurs auf die zweite Kanalinsel. Es sind nur 22 sm.

Wir kommen gut voran und legen uns an einen Warteschlängel vor der Hafeneinfahrt. Hier werden ankommende Yachten von Hafenlotsen in Schlauchbooten platziert und bei entsprechendem Wasserstand in den Hafen befohlen.
In der Hafeneinfahrt liegt quer eine große dicke Bohle, die den Wasserstand im Hafen auf etwa 2,5m hält. Fällt das Wasser, liegt die Bohle frei,

steigt es auf mind. 2,5m darüber, können die Yachten ein- und ausfahren. Die Fluthöhe beträgt hier etwa 6,0m.
Beim anlegen bemerken wir metallische Geräusche aus dem Motorraum. Nach Durchsicht die erschütternde Diagnose: alle vier Selentblöcke sind gerissen, der Motor steht neben den Gummiaufliegern! Ob es hier wohl Ersatzteile für einen italienischen Ruggerini-Diesel gibt?
Zunächst muss uns ein Lotse reinschleppen. Wir sind von etwa 30 Yachten die letzte. Ob das an unserer Flagge liegt?
Dann das berühmte Glück. Ein kleiner Yachthändler hatte unter dem Ladentisch vier baugleiche Blöcke vom Motortyp Bugh. Nur die je zwei Befestigungslöcher der Grundplatten passten um ein halbes Loch nicht überein (M10). Feilarbeit für den Schlosser Siggi. Die Reparatur war um 22.00 Uhr erfolgreich beendet. Auslöser dieser Panne war offenbar ein spiralförmig, auf die Antriebswelle aufgewickelter Tampen. Wir haben uns gegenseitig auf die Schultern geklopft und einen anschließenden Hafentag genehmigt. Der war goldrichtig, so konnten wir Sant Peter Port besichtigen.

Mich beeindruckt immer wieder, was andere Länder für ihre Kinder und Jugendlichen anbieten. Hier ein Segellernbecken in Form eines mit Wasser gefüllten Eishockeyspielfeldes.

Die Kinder sind geschützt, kippt ein Opti mal um, können sie im Becken stehen. An der „Bande“ sind Eltern und Geschwister dabei. Supersache!
Für den folgenden Tag war Sturmwarnung angesagt, es fing schon in der Nacht an. Wir wollen zur französischen Küste und in Cherbourg einlaufen. Für die rund 45 sm reicht der mitlaufende Strom nicht aus, er wird am Cap de la Hague kentern und dann gegen uns und den Wind laufen. Das ergibt eine Wellenhöhe, die wir meiden wollen. Deshalb gehen wir bei W 6-7 um 05.30 Uhr aus der beschaulichen Hafenruhe auf See, um in Alderney Schutz zu suchen.
Die Berechnungen ergeben ein Zeitfenster; wenn wir nach dem Abwettern in Alderney gegen 17.00 Uhr starten, erreichen wir wieder mit dem Strom das Ziel auch noch im Hellen. Das klappt, 21.00 Uhr war „Alibaba“ im Yachthafen von Cherbourg festgezurrt.

Spannend die Durchfahrt durch das „The Swinge Riff“ vor Alderney. Steuerbord und Backbord peitschte die See gegen die Felsen, Schiebewind 6-7 Bft. und voller Strom um 5 Knoten mit uns. Die Pinne hat regelrecht „gezittert“. Das macht 12 Knoten Rauschefahrt.
In der großen Marina von Cherbourg mit regem Clubleben (Bar, Disco) konnten wir das Salzwasser ab- und runterspülen (Dusche und Rotwein).
Da nun der Zeitfond drückte, ging es am nächsten Tag um 07.15 Uhr wieder raus auf See. Ziel diesmal Le Havre, eine 1945 völlig zerstörte und inzwischen wieder aufgebaute Stadt. Nach 72 sm legten wir um 19.30 Uhr im Yachthafen an.

Ringsum eine Betonmauer, bei Ebbe sieht das aus, als ob man im Olympiastadion liegt.
Die Stadt liegt teilweise an einem Hang, ähnlich Sassnitz. Die Architekten haben beim Wideraufbau Großflächigkeit gewählt, wodurch das Flair einer Altstadt fehlt.
Großartig wieder das Kinder- und Jugendareal. Da ein Discoring, dort Sportfelder, hier Geräte für die Kleinen und schließlich die Hafpipe für die Skater.

Alles offenbar ohne Kontroll- und Aufsichtspersonal. Auch kein Eintritt!
Ein notwendiges Nachbunkern in der nahen Kaufhalle beendet unseren Aufenthalt in Le Havre. 13.00 Uhr laufen wir aus, inoffizieller Grund: zu heiß im Hafen.
Es folgt die Umrundung des Cap d’Antifes, eine etwa 15sm lange Strecke mit schöner Ansicht der farbigen Felsformationen, eingebetteten Dörfern, Leuchttürmen und Kirchen.

Da es gut läuft, und die Normandie nur eine trübe Geschichte aufweisen kann, beschließen wir durchzufahren., so weit, wie wir Lust haben. In Höhe Bologne nimmt der Wind zu, wir „kämpfen“ hart am Wind bis ans Cap gris-Nez. Dann können wir endlich abfallen in Richtung Callais.

Der Fährverkehr hält sich nach dem Tunnelbau in Grenzen. Aber Rasmus nimmt weiter zu, geht auf W 7-8 und schiebt. Ein Reff, eingerollte und ausgebaumte Fock, 7-8 Knoten. 12.00 Uhr Callais quer ab, 16.30 Uhr einlaufen in Dunkerque.

Dann wird der Wind zum Sturm. Nach 140 sm nonstop freut sich der Körper auf eine Süßwasserdusche, dann endlich Rotwein! Ich besichtige noch am Abend den Hafenstadtteil, kann aber noch nicht richtig geradeaus laufen. Seegang oder Rotwein?
Nun hatte Franz, der ja bereits das Boot von Potsdam über Havel und Elbe nach Cuxhaven und mit zwei anderen Seglern nach London gebracht hatte, den Gedanken, mit der „eingefahrenen Crew“ bis Cuxhaven zu segeln und die Wechselcrew dorthin zu bestellen. Also noch einmal so’n Ding, Jungs.
Diesmal war 09.00 Uhr die günstigste Zeit, um weiter nach E zu gelangen. Wind W 4, der am Nachmittag auf N geht. Am Abend plötzlich netter „Besuch“. Ein Delfin fand rote Bootsfarbe offenbar angenehm und spielte15 Minuten mit uns.

Thomas stellte satirisch fest, als der Delfin mich gesehen hat, sei er abgetaucht!
20.00 Uhr Höhe Vlissingen.
Nun kommt in der Nacht Rotterdam, wo bei Franz und mir keine guten Erinnerungen wegen der hohen Verkehrsdichte vorliegen. Deshalb wollen wir dicht vor der Hafeneinfahrt eine Lücke suchen und durchschlüpfen. Die Reede ähnelt einem Kaufhallenparkplatz.
Thomas, unser Jüngster, steuert 04.00 Uhr die Stelle an und merkt, dass die Einfahrt mind. eine Meile breit ist und dann kommt auch noch die Ausfahrt. Ich mache ham and eggs, dazu Kaffee und stehe in Bereitschaft. Die Einfahrt, der fast in Reihe einlaufenden Pötte, haben wir geschafft. Dann kommt das langgezogene Wort, mit Sch…beginnend, vom Steuermann. Ein scheinbar riesiger schwarzer Pott, direkt auf Kollisionskurs im Halbdunklen! Kursänderung um 90°, direkt auf die Küste zu. Dicht an uns geht er durch. Alles wieder klar.

15.15 Uhr Leuchtturm „Kijkaduin“ querab. Dann kentert der Strom, es geht wieder langsamer voan. Der Diesel muss ran. Das Wasser aus dem Ijsselmeer stoppt unsere Fahrt gewaltig ab. Endlich sind wir da, denkste. Da im Hafen von Den Helder auch gleichzeitig die Landesmarine liegt und ein Zerstörer raus will, müssen alle Yachten vor der Einfahrt warten. Das kann bei der Strömung schnell 3 Meilen kosten. Dann endlich grünes Licht, einlaufen, festmachen tanken und einkaufen.

Am Abend haben wir uns in der Hafenbar ein Essen geleistet. Da die Reststrecke bis Cuxhaven (ca. 200sm) überschaubar erschien, hat Franz die Wechselcrew für Freitag, 17.00 Uhr bestellt. Was sollte jetzt noch passieren? Das Boot muss noch nach Freest gesegelt werden.
Am nächsten Tag war 07.00 Uhr ablegen mit dem Ziel Borkum, rund 90 sm entfernt. Es sind doch allerhand Flachs zu umfahren. Bei Vlissingen sah ich im 15 sm Abstand zum Ufer noch Stellen mit 1,5m Wassertiefe! An Vlieland ( unserer Lieblingsinsel) und Schiermonikoog vorbei, erreichten wir unter Spi den Yachthafen von Borkum. Es war schon dunkel und so konnten wir die in ständiger Kritik stehenden Hafenanlagen nicht sehen.

Die sanitären Anlagen gehören zu einem Restaurant und sind sehr gut ausgestattet.
Die Strecke nach Cuxhaven musste noch einmal geteilt werden, wegen des Gegenstroms. Wir haben Helgoland gewählt, Thomas war noch nicht da. Der Westwind nahm ständig zu und wir waren erfreut, nach 68 sm gegen 20.00 Uhr noch einen Platz unter der Brücke im Hafen von Helgoland zu finden. Hier liegen Erfahrungen vor, die „Alibaba“ war schon 6x auf diesem Eiland.

Nach dem Inselrundgang und Fußball gucken, ab in die Kojen. Die Nacht war gekennzeichnet von Sturm und Regen. Verdammt, bleiben wir hier doch noch hängen? 09.30 Uhr mit gerefften Segeln raus und ab ging die Post.
An Tonne „Elbe 1“ kentert der Strom wie berechnet. Schön an der Steuerbordseite des viel befahrenen Elbestromes entlang.

Um 16.50 Uhr haben wir nach 35 sm im Yachthafen Cuxhaven festgemacht, 10 min. vor der Verabredung. Mancher Beamte könnte sich daran ein Beispiel nehmen! Es folgte rein Schiff, Aus- und Einräumen und ein Abschlussessen im Clubcasino.

Thomas und ich sind mit dem Auto der Wechselcrew nach hause gefahren. Als der GPS sagte: „Biegen sie nach 300m rechts ab und fahren sie gerade aus.“, wusste ich, dass ich nicht mehr an Bord bin.
Franz Kretschmer hat am nächsten Tag mit der dritten Crew abgelegt und ist über den Nord-Ostsee-Kanal, Kiel, Fehmarn, Gedser und Lohme nach Freest gesegelt. Sonst verholt er die „Alibaba“ immer über den Oder- Havel- Kanal, die Oder, das Stettiner Haff, diesmal eben über die Elbe, Hamburg, London, Portsmuth, Guernsey, Le Havre, Den Helder, Helgoland, Nord-Ostsee-Kanal, Gedser und Rügen.
Der gesamte Törn war zwar eine Teamleistung, aber von Franz Kretschmer akribisch vorbereitet und von allen mit hoher Disziplin ausgeführt.
Ich habe dabei gelernt, dass übergeordnete Ziel im Sinn zu haben.

Fazit

Insgesamt sind wir auf dieser Etappe (London- Kanalinseln- Cuxhaven) rund 800 sm gesegelt und haben 15 Häfen in 5 Ländern besucht. Wir haben viel gesehen und erlebt. Es hat Spaß gemacht, weil unter anderem die Crew harmonierte, das Wetter mitspielte und wir von größeren Schäden bzw. Aufenthalten verschont blieben.
Obwohl die Gezeiten mittlerweile gut berechenbar sind, und elektronische Hilfsmittel zur Verfügung stehen, bestimmen diese eindeutig den Rhythmus eines Törns. Nur wer ständigen Umgang mit Gezeitentafeln, Tabellen und Zeitberechnungen hat, sich über die Auswirkungen der Strömungen an unterschiedlichen Landformationen und Wassertiefen auskennt, kann gefahrenminimiert in Gebieten der Gezeiten schippern. Erstaunlich für mich ist die Tatsache, dass die Flut sowohl von Ost, als auch von West in den Kanal strömt.
Über den Einfluss des rund 400000 km entfernten Mondes von der Erde und die Bewegungen der Wassermassen, möchte ich hier keinen Beitrag abgeben. Jeder Skipper weiß davon und sollte sein Wissen, wie wir es gemacht haben, auch einmal in der Praxis testen. Dazu viel erfolg!

Segeln bedeutet auch Musik zu hören. Gibt es schönere, wie das Rauschen von Wellen und Wind?!


Siegfried Nöckel
SC Wolgast

 

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